Für wen empfehlen sich die Grado GT220? Eine hervorragende Frage. Ich bin mir sicher, dass die Produktentwickler bei Grado eine Antwort haben, aber mir fällt sie eher schwer. Das ist etwas tragisch, denn tatsächlich sind dies die akustisch beeindruckendsten True-Wireless In-Ears, die ich kenne und ich hätte diesen Klang gern stets dabei. Leider strauchelt Grado bei einigen Komfort-Funktionen, die ein modernes Headset zusätzlich aufbieten sollte: Weder die Bedienung noch der Funktionsumfang reicht an die Konkurrenz von Sennheiser, Sony, Apple und Konsorten heran und bleibt in Sachen Mikrofonqualität sogar hinter deutlich günstigeren Alternativen zurück. Dennoch: Der Klang der Grado GT220 ist schlicht und ergreifend atemberaubend.
Die Grado GT220 glänzen mit großartiger Klangqualität und ausdauernder Laufzeit. Verzichten muss man aber auf viele Komfortfunktionen wie aktives Noise Cancelling, Transparenzmodus, App-Einbindung und Multipoint. Mit einer UVP von 279 Euro muss sich das erste True-Wireless-Modell des familiengeführten Unternehmens aus den USA damit zahlreichen Konkurrenten stellen. „It’s all about sound“. Aber ob das heutzutage reicht?
Digitales Debüt eines analog geprägten Familienunternehmens
Das Unternehmen Grado Labs aus Brooklyn, NY, produziert neben Tonabnehmer-Kartuschen der Spitzenklasse seit Jahrzehnten hochwertige, etwas eigenwillig gestaltete Kopfhörer. Holz, Kanten und ein Look irgendwo zwischen Doppeldecker-Cockpit und CIA-Gadget sind dabei das charakteristische Markenzeichen.
Ein Kopfhörer von Grado verströmt zwanglosen Hipster-Chic und ist dabei zeitlos. Grados Produktpalette reicht dabei von den leichten, durchaus straßenkompatiblen On-Ear-Kopfhörern der SR-Serie (zu den Tests) über die Over-Ears der Statement-Serie hin zu limitierten Editionen (zur News). Diese zeichnen sich meist durch ausgesuchte Hölzer und speziell darauf abgestimmte Treiber aus.
Drahtlose Kopfhörer waren nicht unbedingt ein Schritt, den ich von Grado erwartet hätte. Für einen Laien wie mich scheint die technische Entwicklung eines Systems mit Bluetooth-Empfänger, Batterie, Verstärker und Digital-Analog-Wandler eine Welt für sich zu sein, fernab von dem, worauf Grado Labs seinen Ruf begründet hat: Hervorragend klingende, sehr persönliche Kopfhörer, die auf jeden Fall eher als langfristige Investition und weniger als Mode-Accessoire zu verstehen sind. Umso spannender, dass Grado Labs mit dem GT220 zum ersten Mal ein In-Ear-Headset anbietet, natürlich Wireless. Die bekannte Ästhetik der New Yorker bleibt in diesem Formfaktor naturgemäß auf der Strecke, dafür sind die Erwartungen an die Klangqualität umso höher, denn im Preisbereich zwischen 200 und 300 Euro tummelt sich kompetente Konkurrenz.
Lieferumfang
Im Lieferumfang befinden sich Silikonstöpsel in drei Größen, ein USB-C auf USB-A-Kabel sowie das vergleichsweise große Lade-Case mit einer Kapazität von 500 mAh. Diese reicht für fünf volle Ladezyklen und kann via drahtloser Qi-Ladematte oder USB-C in zwei Stunden geladen werden. Vier weiße LEDs zeigen den aktuellen Ladezustand des Case an. Laut Herstellerangaben erreichen die GT220 eine Batterielaufzeit von bis zu 6,5 Stunden.
Bedienung
Die Bedienung der GT220 erfolgt über je eine berührungsempfindliche Taste auf der Rückseite der Ohrhörer. Links werden Gespräche angenommen und beendet, rechts Inhalte gestartet und angehalten. Die Lautstärke wird über längeres Auflegen des Fingers eingestellt, doppeltes und dreifaches Tippen steuern weitere Funktionen wie Google Voice, Siri und Titelsprünge. Leider lassen sich diese Tastenbefehle nicht deaktivieren oder anpassen.
Das in die Rückseite der Kopfhörer eingelassene Logo leuchtet je nach Status rot oder blau. Leider wird die Beleuchtung beim Tragen aber nicht konsequent abgeschaltet, alle 30 Sekunden wird das Schlafzimmer von einer blauen LED illuminiert. Ebenfalls verzichten die GT220 auf eine App, um eigene Einstellungen programmieren oder die Firmware aktualisieren zu können.
Tragekomfort
Dank der in der Kurzanleitung empfohlenen Methode, die Ohrhörer mit einer sanften Drehung einzusetzen, sitzt das Headset schon beim ersten Versuch perfekt. Die Außenwelt rückt in weite Ferne.
Wie schon erwähnt handelt es sich bei den Grado GT220 um Kopfhörer einer traditionell sehr analogen Firma. Aus diesem Grund verstehe ich absolut, dass auf eine Rauschunterdrückung (Active Noise Cancelling, ANC) von der Stange verzichtet wurde. Aufgrund der überzeugenden Isolierung der Ohrpassstücke hätte ich mir schon eher die „Transparent Hearing“ Funktion meines Sennheiser Ambeo Headsets gewünscht (zum Test). Da die Grado Earbuds über Spritzwasserschutz nach IPX4 verfügen, eignen sie sich auch zum Joggen bei leichtem Regen. In diesem Preissegment wäre aber mehr möglich.
Bluetooth
Codec-seitig unterstützen die Grado GT220 SBC, AAC sowie aptX. Auf höher auflösende Codecs wird hingegen verzichtet. Bei meinem Testgerät rauscht nach der Kopplung der linke Ohrhörer merklich und unabhängig von der Lautstärke, falls kein Signal vom Zuspieler kommt, bevor es nach einigen Sekunden mutmaßlich in einen Low-Power-Modus schaltet.
Klang
Schon bei den ersten Klängen meiner Referenz-Playlist (Natalie Merchant: „The Blind Men & The Elephant“) wird klar, dass ich es mit einem seriösen Kopfhörer zu tun habe. Die tiefen Register des Bariton-Saxophons werden homogen abgebildet und auch nach Einsatz der lauteren Tuba nicht verdeckt. Aber auch die hohen Frequenzen haben einiges zu bieten, die Klappengeräusche der Klarinette sind klar auszumachen und die knackigen Transienten des Banjos klingen natürlich. Insgesamt erinnert mich die Klangcharakteristik an professionelle In-Ear-Monitore von Etymotic (zur Übersicht), obwohl sie mit einem dynamischen 8-mm-Treiber arbeiten.
Das Stereobild und die Tiefenstaffelung sind intim und direkt bei einem extrem breiten Stereobild. Elektronische Musik profitiert von dieser überhöhten Breite, Genres wie Pop, Hip-Hop und obskure Spielarten elektronischer Musik vom üppigen Dynamikumfang im Bassbereich. Die Abbildung klassisch orchestrierter Musik und akustischer Livesets gewinnt auf Kopfhörern übrigens ganz allgemein enorm von den immer häufiger angebotenen 3D-Audio-Mischungen, allen voran denen mit Dolby-Atmos-Codec.
Insgesamt lässt sich über den Klang der GT220 in seiner Funktion als reiner In-Ear-Kopfhörer wenig beanstanden. Gleichzeitig dürfen Grado-Fans allerdings nicht den seidigen Sound erwarten, für den man diesen Hersteller schätzt. Dafür klingen die GT220 etwas zu forsch und vergleichsweise basslastig. Als analytisch würde ich den Klang deswegen nicht beschreiben, in den Mitten und Höhen fehlt hierfür die Präzision und Auflösung, die mit Over-Ears erreicht werden können. Gleichwohl ist die Klangqualität für ein True-Wireless-System schlicht großartig.
Telefonieren mit den Grado GT220
Als In-Ear-Headset für Vieltelefonierer kann ich Grado hingegen leider keine Bestnoten ausstellen, dafür ist die Qualität des Mikrofons samt verwendetem Codec nicht ausreichend. Ein Headset dieser Preiskategorie sollte auch für den Gesprächspartner eine gute Klangerfahrung sein. Stattdessen klagten meine Gesprächspartnerinnen über Roboterstimmen, Aussetzer und inkonsistente Klangqualität. Als täglicher Begleiter disqualifiziert sich das GT220 daher für mich aufgrund eben dieser bescheidenen Telefoniequalität.
Technische Daten
- BauformIn-Ear
- Bauweisegeschlossen
- Wandlerprinzipdynamisch
- Audio-Übertragungsbereich (Hörer)20 - 20.000 Hz
- Impedanz32 Ohm
Lieferumfang
- 3 Paar Silikon-Passstücke
- USB-A auf USB-C Ladekabel
- Lade-Case
Besonderheiten
- BT-Codecs: SBC, AAC, aptX
- BT-Version: 5.0