Katrin Jäger
Am 28. April 1970 wurde ich in Münster als gesundes, schwarzhaariges, ziemlich propperes Mädchen mit ganz normalen, nicht abstehenden Ohren geboren. Was meine Mutter sehr freute. Denn ich hätte – was die Hörorgane angeht - auch nach meinem Vater geraten können. Seine Segelohren waren geradezu legendär. Wenn er sich vor eine Lampe stellte, glühten sie hellorange vor sich hin. Mein Bruder und ich konnten von diesem Anblick nie genug bekommen.
Dafür erbte ich von meiner Mutter die große Zahnlücke, in der kein Strohhalm klemmen blieb und durch die ich jedes Lied pfeifen konnte. Inzwischen reicht es leider nur noch zu einem schrillen Ton, mit dem ich allenfalls Hunde beeindrucken kann.
Als es aufs Abitur zuging, und Jedermann fragte, was wir werden wollten, konnte ich nichts sagen. Denn „Journalistin oder Autorin“ wäre mir nie über die Lippen gekommen. Zu unerreichbar, zu großartig, zu angeberisch. Man sagt ja auch nicht „ich will Hollywoodstar werden“.
Also zuckte ich mit den Schultern und begann im nahen Münster mein Publizistik-Studium. Meine Chance kam. Unsere Lokalzeitung suchte freie Mitarbeiter, ich meldete mich. Und so schickte man mich überall hin. Kegeljubiläen, Weihnachtsfeiern, Nikolausfeiern, Flohmärkte, Pfarrer-Einführungen und immer wieder zu Schützenfesten. Dort wartete ich mit den betrunkenen Schützenbrüdern unter der Vogelstange, machte das Jubelfoto und versuchte, möglichst wenige Schnäpse mitzutrinken. (Dass zwei Jahrzehnte später mein erster Krimi Schützenkönig heißen würde, ahnte ich damals nicht.)
Kurz vor Ende meines Studiums bewarb ich mich mit einer Reportage an der Berliner Journalistenschule. Bingo! Über Nacht war ich Großstädterin und eine von 16 streng ausgesuchten, hoffnungsvollen Jungschreibern. Ich ergatterte ein Praktikum beim Stern, war ein paar Wochen bei der Deutschen Welle TV und als letzte Station bei der Berliner B.Z., wo ich blieb. So besuchte ich kleine Provinzmaus die Familie von Big-Brother-Zlatko, ich flog nach Mosambik zur Flutkatastrophe, ich wohnte nach dem Türkei-Erdbeben in dem Zelt eines der Opfer. Ich suchte die besten Prediger Berlins, ich streichelte eine zahme Wölfin mit dem Namen Ingrid, meditierte in Österreich und schrieb über meinen Lieblingsonkel aus Kanada.
Doch es kamen neue Chefs, neue Aufgaben und ich war plötzlich selber eine Chefin. Ich redigierte die Texte meiner Mitarbeiter, statt selber zu schreiben. Irgendwann betrachtete ich ein paar ältere, kinderlose Kolleginnen in teuren Stiefeletten und wusste, dass es Zeit war, zu gehen.
Dann lernte ich meinen Mann kennen, der aus meinem Heimatdorf stammt. Ich kündigte und zog mit ihm zurück nach Hause. Wir wohnen mit unseren beiden Söhnen mitten auf einer Wiese im Münsterland.
Jetzt bin ich ein Hollywoodstar ... Ne, äh. Natürlich nicht. Ich bin Autorin. Und das ist viel besser.