Sennheiser setzt mit dem IE 900 eine neue Referenz für rein dynamische In-Ear-Monitore. Das audiophile neutrale Klangbild begeistert mit Ausgewogenheit, Detailfülle und einer exzellenten Höhenwiedergabe. Der hohe Fertigungsaufwand und resultierende vierstellige Preis von 1.299 Euro haben sich gelohnt. Als In-Ear-System ist der IE 900 kompakt genug für den mobilen Einsatz, spielt aber seine vollen Stärken insbesondere in ruhiger Umgebung und an hochwertiger (und bei Bedarf symmetrischer) Peripherie aus. Der Preis ist hoch und grenzt damit naturgemäß eine Reihe von Interessenten aus. Der IE 900 ist allerdings ein audiophiler Künstler, der sich die letzten Prozente klar erarbeitet.
Der IE 900 ist die audiophile Krönung in Sennheisers In-Ear-Portfolio. Entwicklungskompetenz und präzise Fertigung stellen unter Beweis, dass ein einzelner dynamischer Breitbandtreiber das Potenzial für audiophilen Klang bereitstellt, wie auch bei großen Over-Ear-Kopfhörern. Der IE 900 zeigt sich in bester Weise klangneutral, hervorragend abgestimmt und silbrig transparent im Abschluss nach oben. Klang-Gourmets sollten hier genau hinhören …
Der IE 900 wird bei Sennheiser in der Kategorie „Audiophile Kopfhörer“ geführt. Auf den ersten Blick hätte ich ihn als Flaggschiff der professionellen In-Ear-Monitor-Serie eingeordnet. Sennheiser setzt laut eigenen Aussagen allerdings bei der audiophilen Produktreihe auf eine andere Klangcharakteristik und Abstimmung als in den professionellen Modellen. Die Einsatzgebiete sind zudem anders: Die professionellen In-Ears sind für das Monitoring optimiert, die audiophilen Modelle wenden sich an HiFi-Feinschmecker.
Am Flaggschiff der kabelgebundenen In-Ear-Reihe des Herstellers wurde tatsächlich an nichts gespart. Der IE 900 wird direkt im Hauptwerk von Sennheiser gefertigt, von Hand montiert und paarweise gematched. Hochwertige Materialien, Technik und optimale Passform sollen in beste Klangqualität münden. Die dynamische Konstruktion setzt pro Seite auf jeweils einen optimierten True-Response-Treiber mit 7 mm Durchmesser. Bewusst, denn Sennheiser will so Probleme im Übergang zwischen mehreren Wegen konsequent ausschließen.
Bemerkenswert ist weiter die Einbettung in das Gesamtsystem X3R (zur Website des Herstellers). Der Treiber ist in einem der Ohrform physiognomisch angepassten Gehäuse untergebracht. Dieses besteht aus gefrästem, eloxierten Aluminium mit sogenannter Vortex-Struktur, in die gleich drei Helmholtz-Resonatorkammern integriert wurden. Dabei widmet sich der Hersteller dem Problem der Interaktion zwischen Treiber und rückwärtig abgegebener Schallenergie, die insbesondere in geschlossenen Gehäusen Einfluss auf den Frequenzgang nimmt. Mit ebendiesen Kammern soll der Frequenzgang weiter linearisiert und insbesondere in der Höhenwiedergabe verbessert werden. Der IE 900 ist also weit mehr als ein konventioneller Knopf im Ohr!
Praxis
Funktional gibt es wenig zu anzumerken, denn Extras bietet der IE 900 nicht. Weder findet sich eine Fernbedienung noch ein integriertes Mikrofon in der Konstruktion, denn es geht schlicht und einfach um eine anspruchsvolle Klangreproduktion. Der leichte Kopfhörer sitzt sicher und dauerhaft gut im Ohr. Die Überohrführung mit einem biegsamen Bügeldraht ist zwar nicht die schnellste Variante beim Tragen (insbesondere mit FFP2-Maske), dafür aber wird der Hörer stets in Position gehalten. Etliche Passstücke aus Silikon und Memory-Schaumstoff liegen bei und sorgen für die nötige Abdichtung des Ohrkanals. Wer den IE 900 nicht nutzt, nutzt die ebenfalls mitgelieferte Tragetasche.
Die Außendämpfung ist hoch, ebenso die Pegelreserven. Auf eine variable Dämpfung in Form von Einsätzen wie Mitbewerber 64 Audio (zum Test des U6t) verzichtet Sennheiser jedoch.
Die mit Para-Aramid verstärkten Kabel sind dank vergoldeter MMCX-Anschlüsse selbstverständlich austauschbar. Großzügig werden gleich drei Varianten mitgeliefert, allesamt anschlussseitig um 90 Grad gewinkelt: eine Version mit dem gängigen 3,5-mm-Klinkenstecker, eine mit symmetrischem 2,5-mm-Stecker und eine mit 4,4-mm-Pentaconn-Stecker. Das Fehlen einer 6,3-mm-Variante und die Kabellängen von 1,2 Meter legen nahe, dass der IE 900 eher an (klanglich unterdimensionierte) Smartphones und mobilen Playern und DACs zum Einsatz kommen soll, wie etwa dem FiiO M11 Plus Ltd (zum Test).
Klang
Der Hersteller sieht den niederohmig ausgeführten Sennheiser IE 900 nach eigenen Aussagen als In-Ear-Pendant zum HD 800 S (zum Test) (oder dem geschlossenen HD 820, Anmerkung des Autors). Die Klangabstimmung ist neutral mit analytischem Charakter – das zeigen bereits der breite Frequenzgang und der geringe Klirrfaktor.
Der Hersteller selbst hebt aus akustischer Sicht die leicht betonten, aber einzigartig geglätteten Höhen hervor, die bei dynamischen In-Ear-Lösungen regelmäßig störende Resonanzen oder Überbedämpfungen ausweisen und die hier über die Resonatorkammern präzise adressiert werden, um die Qualität des hochwertigen Treibers akkurat zu transportieren. Gewissermaßen sind im IE 900 die akustischen Maßnahmen für eine „Raumoptimierung“ also bereits eingebaut. Weiterhin hebt Sennheiser die Tieftonabstimmung hervor: Der IE 900 soll betont sauber aber dennoch druckvoll klingen, was eine sorgfältige Abstimmung erfordert. Soweit der Hersteller …
In der Praxis empfinde ich den Klang tatsächlich als außerordentlich ausgewogen, aber vielleicht auch gerade deshalb nicht unbedingt als spektakulär im Sinne von effekthaschend. Was auf den ersten Blick etwas nüchtern wirkt, zeigt nach kurzer Eingewöhnung echte Monitorqualitäten über den gesamten Frequenzgang. Schnell lernt man die Präzision, Schnelligkeit und Dynamik der verbauten Treiber zu schätzen. Es ist für mich immer wieder erstaunlich festzustellen, wie klar der Sprung von Bluetooth auf eine Kabelverbindung ist, insbesondere wenn es ein Kopfhörer dieser Kategorie ist.
Die außergewöhnliche Auflösung im Höhenbereich kann ich dem IE 900 vollauf bestätigen. Tatsächlich tat sich eine Dimension auf, die in einem In-Ear-Monitor selten hörbar ist. In der obersten Klangetage eröffnen sich Details, die man mit günstigeren Kopfhörern und erst recht mit Funklösungen so nicht hört. Als wäre hier eine weitere seidige Informationsschicht vorhanden. Und gleichzeitig ergibt sich aus dieser erhöhten Detailvielfalt ein spektakuläres Stereopanorama sowie eine hohe Nachvollziehbarkeit von Raumeffekten. Bei guten Mischungen fächert der IE 900 die Mischung enorm weit auf und bei Kraftwerks „3D Catalogue“ sogar über die Grenzen der Ohren hinaus. Bewegungen sind klar zuzuordnen. Auch die Sprachverständlichkeit ist schlichtweg erstklassig. Und schließlich zieht der IE 900 auch den Grenzbereich zu Härten absolut zielsicher (Erosion: 70th Floor). Eine Glanzleistung!
Am unteren Ende des Frequenzgangs reicht der IE 900 sauber bis in den tiefsten Keller hinab. Bässe klingen konturiert straff und sind tonal wie dynamisch nachverfolgbar. Dazu liefern sie je nach Mischung Wärme oder den gewünschten trockenen Kick. Dass es dabei nie überbetont klingt, ordne ich als positive Eigenschaft ein – der IE 900 ist eben kein Lifestyle-Produkt.
Ebenso zeigt der IE 900 in den Mitten seine Qualitäten: Jede Menge Details, die sich insbesondere bei Stimmen und akustischen Instrumenten offenbaren. Aber auch dichte Pop-, Rock- und Elektronikmischungen sind differenziert und je nach Qualität durchsichtig, mit engem Zusammenhalt oder auch mit kleinen Schwächen versehen – der IE 900 zeigt all diese Charaktere, Stärken und Schwächen gut nachvollziehbar auf. Und selbst im dichten Rock/Metalgenre kommt der IE 900 nicht aus dem Tritt und traf stets sicher den Ton der Mischungen und die Intentionen der Produktionen: „Check my Brain“ von Alice in Chains klang dick und rund, „Repentless“ von Slayer gab sich mittenbetont aber ohne Nasalität, „Shovel Headed Kill Machine“ von Exodus hingegen aggressiver mit leichter Ausdünnung in den Mitten. Meshuggahs „Bleed“ kam schließlich stimmig und nicht metallisch-blechern wie bei manchem Mitbewerber daher.
Aber natürlich ist der IE 900 in keinerlei Weise auf diese Genres abonniert. Vielmehr stellt er gleichermaßen bei intimen Singer-Songwriter-Werken, dynamischen Jazzaufnahmen und raumfüllenden klassischen Aufnahmen seine Talente in gleicher Weise unter Beweis. Ein wichtiges Talent ist dabei seine Fähigkeit, neben der Dynamik auch das Timing der beteiligten Elemente herauszuarbeiten, so dass übereinander gelagerte Elemente sauber erkennbar sind. Letztlich geht es aber weniger um Teilbereiche, sondern um eine stimmige Gesamtleistung bei der Klangreproduktion, die der IE 900 tatsächlich mustergültig und analytisch, aber nie schönfärbend oder gar kalt liefert.
- 1499,00 € *Zum Angebot
- 1.349,00 € *Zum Angebot
Technische Daten
- BauformIn-Ear
- Bauweisegeschlossen
- Wandlerprinzipdynamisch
- Audio-Übertragungsbereich (Hörer)5 - 48.000 Hz
- Impedanz18 Ohm
- Schalldruckpegel (SPL)123 dB
- Gewicht ohne Kabelje 4 g
- Kabellänge125 cm
Lieferumfang
- 3 Paar Ohradapter aus Silikon (S, M, L)
- 3 Paar Ohradapter aus Schaumstoff (S, M, L)
- Symmetrisches Para-Aramid-verstärktes Kabel mit 2,5-mm-Stecker
- Unsymmetrisches Para-Aramid-verstärktes Kabel mit 3,5-mm-Stecker
- Symmetrisches Para-Aramid-verstärktes Kabel mit 4,4-mm-Stecker
- Kabelclip
- Reinigungswerkzeug
- Reinigungstuch
- Präsentationsbox mit signiertem Kundenzertifikat
Besonderheiten